Mutig sein heisst nicht, keine Angst zu haben ! Mutig sein bedeutet, mitten durch die Angst hindurch zu gehen !


Lasst' uns in der Zeit zurückreisen... Januar 2018

Mein Job überfordert mich, ich bin müde und traurig, es gibt Zoff mit der Chefin.

Im August 2017 kam ich mit einem Kind mit Down-Syndrom in die erste Klasse. Als Teilhabeassistentin arbeite ich bei einem kirchlichen Träger.  Es läuft nicht wie erhofft, es gibt keine Hilfe seitens der Schule und des Trägers. Die im Vorfeld getroffene Vereinbarung, dass man jederzeit tauschen oder Stunden reduzieren könne, ist verpufft. Der Grund ? Ab diesem Monat habe ich eine neue direkte Vorgesetzte, sie hält nichts von den Aussagen ihrer Vorgängerin.

Ich hänge in der Luft und kämpfe mich durch endlose, kräftezehrende Tage.

Meine Kinder brauchen mich, ich kämpfe soviel mit mir selbst dass ich sie fast gar nicht wahrnehme. Der Tag, an dem ich vergesse meinen Sohn (damals 9) vom Training abzuholen. Er steht im Dunkeln vor der Sporthalle, zittert. Ich weine weil ich mich so verdammt schlecht fühle. Er tröstet mich, sagt, er weiss, dass ich ihn liebhabe. Versuche mit der Leitung meiner Abteilung ins Reine zu kommen und Hilfe zu erhalten. Termine, Telefonate in denen ich mich schlecht behandelt fühle. Ungerechtigkeit - ich hasse das ! Da setzt es bei mir aus. Um 18 Uhr schließt die Postfiliale. Es ist 17:30 Uhr, schnell tippe ich die Kündigung und schicke sie als Einschreiben an meinen Arbeitgeber. Erleichterung erfüllt mich, schlechtes Gewissen aber auch. Erst am nächsten Tag erzähle ich Mann und Kindern was ich getan habe. Gemischte Gefühle aber auch Aufbruchsstimmung, Versuche der zukünftigen Ex-Chefin mich zum Bleiben zu bewegen. Halbherzig, sie mag mich nicht und ich nehme das nicht ernst. Erste Bewerbungen an soziale Träger gehen raus, doch leider habe ich keine pädagogische Ausbildung und bekomme nur Absagen und ein Vorstellungsgespräch im Mai in Aussicht gestellt. So gerne möchte ich weiterhin als Integrationshilfe arbeiten. Dann kommt der 'böse Brief' vom Arbeitsamt, man muss sich erklären und rechtfertigen wenn man einen unbefristeten Job hinschmeisst. Ich erhalte einen nicht abzusagenden Termin, bekomme das Gefühl, dass es gar nicht so leicht ist eine Arbeit zu kündigen ohne von allen Seiten Unverständnis und Druck zu spüren. Ich will unbedingt zurück in einen Job unter Menschen, am liebsten wieder mit Kindern arbeiten. Aber die Basis fehlt - ich habe eine kaufmännische Ausbildung und bin nur pädagogische Hilfskraft. Mit anerkannter Ausbildung oder einem Studium bekommt man Jobangebote ohne Ende aber das würde bedeuten, noch einmal einen Beruf zu lernen.

In meinem Wohnort hängen mehrere große Plakate: der Frankfurter Flughafen sucht MitarbeiterInnen in allen Sparten. Es rattert im Kopf, denn dieser mächtige Arbeitgeber liegt nur 20 Minuten mit dem Auto entfernt von zu Hause und aufregend ist diese ganz eigene Welt 'Airport' ja schon. Ich bewerbe mich und schon ein paar Tage später erhalte ich eine Einladung zum Gespräch.

Mittendrin passiert noch viel mehr: ob ich über die Erzieherausbildung da schon nachgedacht habe ? Ja, auf jeden Fall. Die Dame vom Arbeitsamt hat mir dringend geraten mich an einer der beiden Fachschulen für Sozialpädagogik in Darmstadt zu bewerben. Sicher wären in Teilzeit noch Plätze frei, das könnte ich mit meinen Kindern gut schaffen - drei Tage Schule die Woche und die Finanzierung der 3-jährigen Ausbildung als Umschülerin durchs Arbeitsamt.
Aber ich traue mir das nicht zu. Bin ich nicht zu alt ? Werde ich am Ende als Dinosaurier in der Klasse sitzen ? Was werden Familie und Freundeskreis darüber denken ?

Dann dieser eine Tag, an dem ich zufällig ein paar Nachrichten mit einer Bekannten hin- und herschicke. Ich weiß gar nicht mehr genau warum aber ich erfahre: sie macht das auch ! Hat ihr Geschäft aufgegeben und geht zurück zur Schule, will Erzieherin werden. Das gibt mir den letzten Schub: am nächsten Morgen lasse ich meine Zeugnisse beglaubigen und beantrage ein Führungszeugnis. Zwei Wochen später geht die Bewerbung an meine heutige Schule raus und schon eine Woche später - am 19. April (dem Geburtstag meines Papas) habe ich dort das Aufnahmegespräch. Ich kann nur sagen: herrje - bin ich aufgeregt. Mir geht ordentlich die Muffe als ich zum ersten Mal den Türgriff am Eingang berühre. Ich zögere kurz und überlege, was es für mein weiteres Leben bedeuten könnte, dieses Gebäude zu betreten. Lieber umdrehen und weggehen ? Aber mit klopfendem Herzen und gefühlt riesigen Schweißflecken - nur gefühlt weil ich habe keine gesehen - betrete ich die Alice-Eleonoren-Schule und bringe es hinter mich. Es ist überhaupt nicht schlimm, tut nicht weh und die mündliche Zusage bekomme ich sofort. Das Schulgebäude ist sonnendurchflutet an diesem Tag, außerdem besticht es mit 60er-Jahre-Charme was ich richtig schön finde.

Ich rufe auf dem Heimweg meinen Papa an und gratuliere mit der guten Nachricht, danach meine Schwester. Das Herz rast und die Schweißflecken sind jetzt real !
Zuhause werfe ich den PC an um die Dame von Arbeitsamt über meine Aufnahme zu informieren und es ist fast ein Schock: gerade kam eine Mail vom Flughafen rein ! Auch hier kann es für mich weitergehen, mit einer Teilzeitstelle in der Fluggastbetreuung am Boden, ich bin in die nächste Runde gekommen und ein neuer Termin ist auch gleich dabei. Was jetzt ? Alles zurück auf Null ? Der Schule absagen, die gesponserte Chance auf eine fundierte Ausbildung in die Tonne treten ... in MEINEM Alter. Das wäre dumm, oder ? Ich tu es nicht und fahre in der kommenden Woche wieder zum Flughafen. Großer Termin mit allen Bewerbern der engeren Wahl. Vier Stunden Vorstellen, Kennenlernen, Austausch, Bewirtung und erste Einführung in Details dieser Ausbildung die ab dem 1. Augsut 2018 einen Monat in Vollzeit erfolgen soll. Wenn wir wollen, wenn ich will... Wir bekommen Formulare mit Kleidergrößen und Abmesshilfen, man zeigt uns die schicken dunkelblauen Uniformen die alle Angestellten im Service tragen.

Ein paar Tage später kommt die schriftliche Zusage meiner Schule.
Ich zerreiße die Formulare mit den Kleidergrößen und sage den Job am Flughafen schriftlich ab. Ein Anruf am nächsten Tag - ob ich es mir nicht nochmal überlegen will ? Fühle mich geschmeichelt aber weiß, dass ich DAS nicht wirklich bin. Schicke Bluse und Uniform, jeden Tag 1A gestylt sein, sonn- und feiertags arbeiten. Die Entscheidung ist gefallen: ich werde nochmal in die Schule gehen. Das war zwar viele Jahre mein Arbeitsplatz aber als Schülerin war ich seit 1992 nicht mehr am Start.

7. August 2018

Es ist soweit ! Morgens steige ich mit furchtbar vielen Schülern (Moment mal, da gehöre ich jetzt auch wieder dazu) in den Bus und fahre nach Darmstadt, dort steht meine schöne Schule im Stadtteil Bessungen. Nur ein paarhundert Meter davon entfernt befindet sich das Krankenhaus in dem ich geboren wurde. Schicksalhaft, dass ich dorthin nun regelmäßig zurückkehre: (fast) an den Ort an dem ich zur Welt kam. Aber auch schön. Die Glocken der katholischen Kirche läuten, als der Bus hält. Die Bushaltestelle liegt direkt neben der Kirche, gegenüber ist ein Gymnasium und hier ist Endstation. Ich muss raus. Jetzt. Im Park gegenüber schieße ich noch ein paar Handyfotos denn es ist ein wunderschöner Sommermorgen ! Ich poste sie bei facebook mit der Bitte, es möge jemand kommen und mir die Hand halten während der Einschulung. Unglaublich aufgeregt bin ich, mir ist richtig schlecht. Ich laufe los, bergauf, ziemlich langsam. Überquere die letzte Straße und gehe die Treppen zur Alice-Eleonoren-Schule hoch, die Tür zur Aula steht offen. Dort stehen sehr viele Stühle (SO VIELE werden heute eingschult ?) und ein paar Menschen sind auch schon da. Ich kenne niemanden, setze mich lieber mal weiter hinten hin. Außer Ansprachen und warmer Worte gibt's ein paar Aufführungen vom Jahrgang über uns, wir werden von den Klassenlehrerinnen aufgerufen und folgen brav in die Räume. Es fühlt sich doch wieder sehr nach Kindsein an. Die Patenklasse erwartet uns schon und hat zur Begrüßung bemalte Steine ausgeteilt. Es ist ein so unglaublich heißer Tag und wir sind alle SO aufgeregt. 

Am nächsten Tag beginnt der Unterricht erst so richtig mit all' diesen Kennenlernspielen die uns Erwachsenen immer etwas peinlich sind.
Überhaupt sind die ersten Wochen geprägt von Kennenlernen, Spielen und Organisatorischem. Wir bekommen einen Studierendenausweis, der manche Dinge wie z.B. Kino oder Busfahren vergünstigt.

 


 

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