Abschied nehmen

Wer meine Geschichte hier verfolgt hat weiß, wie alles begann...

2017 meine Übernahme eines Kindes mit Down Syndrom als Teilhabeassistentin, durch den Fall dann aber Streit und Überwerfen mit meiner damaligen Chefin und dem Träger. Meine Kündigung im Januar 2018 und daraufhin die Anmeldung an der Fachhochschule für Sozialpädagogik in Darmstadt.

 

 

Alles hat seinen Sinn im Leben, nichts passiert ohne Grund. Das sagen wir oft leicht dahin aber heute fühle ich es zum ersten Mal in meinem Leben am eigenen Leib.

Der Junge, mit dem ich am 15. August 2017 als THA in die erste Klasse kam, ist verstorben. Ich hielt ihn an der Hand und gemeinsam betraten wir die Bühne bei der Einschulungsfeier. Ich erlebte die ersten Monate seiner Grundschulzeit, seine und meine Kämpfe. Es war anstrengend und sehr intensiv. Ich tröstete und kuschelte. Wickelte, schimpfte, wischte auf und rannte hinterher. Saß an Besprechungstischen. Machte Pläne und verwarf sie wieder. Lachte mit ihm und weinte alleine weil meine Kräfte schnell am Ende waren.

Mit nur 11 Jahren erlag er seiner Leukämieerkrankung. Heute nun, fast genau 4 Jahre später war ich auf der Trauerfeier für ihn, auf dem Friedhof unseres gemeinsamen Wohnortes. Als ich im Januar 2018 Abschied von den damaligen Erstklässlern nahm war ich unendlich erschöpft aber auch genauso traurig weil ich aufgegeben hatte. Die Klasse war (und ist) einfach toll und alle Kinder lagen mir am Herzen. Es wäre der perfekte Arbeitsplatz gewesen und ich hätte wahnsinnig gerne die ganze Klasse bis zum Ende der Grundschulzeit begleitet. Der letzte Schultag ist am kommenden Freitag. Schon zum zweiten Mal in Folge wird es pandemiebedingt für die Viertklässler an unserer Grundschule keine Abschiedsfeier geben. Ich hatte mir überlegt, trotzdem vor dem Schulgebäude zu stehen wenn sie am letzten Tag dort herauskommen um sie ordentlich zu feiern und alle zusammen nochmal zu sehen. Als tolle Klasse !

Das Schicksal hat nun allen Beteiligten einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Anstatt den Abschied von der Grundschulzeit und Neubeginn zu erleben, zu feiern, mit lachendem und weinendem Auge (denn so ist es nun mal) standen die Viertklässler heute mit mir und unzähligen anderen Trauergästen auf dem Friedhof und nahmen Abschied von einem Klassenkameraden, einem gleichaltrigen Kind. Unfassbar. In meine Trauer mischt sich riesengroße Wut. Das Leben ist manchmal wahnsinnig ungerecht und dass Eltern ihr Kind beerdigen müssen fühlt sich so schmerzhaft und ungerecht an, dass ich es nicht in Worte fassen kann.

Was nun der Sinn des Lebens und der frühe Tod des Jungen für seine Familie bedeutet kann ich nicht ermessen, nur erahnen. Ich kenne sie schon lange und fühle mit ihnen.

Mir selbst erscheint der heutige Tag als letzte Aufgabe meiner Zeit als THA: Abschied nehmen - für immer. Abschiede fallen mir generell sehr schwer und ich führte vorletztes Jahr ein langes Gespräch mit meinem Klassenlehrer darüber. Ich müsse an mir arbeiten und lernen damit umzugehen - schrieb ich damals in mein Ausbildungs-Portfolio. Der heutige Abschied ist mit Sicherheit der schwerste von einem Kind gewesen den ich bisher bewältigen musste. Eine andere Aufgabe war es aber auch für die restlichen Kinder (habe ich schon erwähnt was das für eine wahnsinnig tolle Klasse ist?) noch ein letztes Mal zu sehen, an ganz andere Stelle als ich mir das vorgestellt hatte. Sie ließen Ballons für ihren Klassenkameraden in den Himmel steigen.

Ruhe in Frieden kleiner Freund. Danke, dass du da warst und dich kennenlernen und ein Stück deines Weges begleiten durfte. Ohne dich wäre ich wohl nicht in die Erzieher-Ausbildung gestolpert. Daraus versuche ich heute Kraft für die Zukunft zu ziehen - auch wenn es gerade schwerfällt. Meine Gedanken sind bei deinen Eltern und deiner Schwester ❤ 



 



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